16. qualityaustria Lebensmittelforum

Die neuen Spielregeln für Ernährungssicherheit

Rund 100 Branchenexperten und Interessierte folgten am 30. September 2025 der Einladung zum 16. qualityaustria Lebensmittelforum. Im Fokus stand die Transformation der Branche, die durch neue Regeln und Berichtspflichten beschleunigt wird. Unter den Vortragenden war auch der ehemalige EU-Agrarkommissar Franz Fischler.

Der Weg unserer Nahrungsmittel vom Feld bis auf den Teller ist weit. Bis ein Lebensmittel zum Verzehr bereit ist, durchläuft es unzählige Stationen. Oft fehlen in diesem Prozess allerdings das Bewusstsein und der Blick auf das große Ganze. Viele Marktteilnehmer erkennen nur ihren unmittelbaren Wirkungsbereich und übersehen globale Zusammenhänge: Diese gewinnen beim aktuellen Übergang von der Industriegesellschaft zu einer global vernetzten Wissensgesellschaft zunehmend an Bedeutung. Für eine echte Veränderung müssen wir uns von einer Industrie zu einer Wissensgesellschaft wandeln. Denn die Transformation wird nur gemeinsam gelingen. „Die Zukunft passiert nicht irgendwann, sie passiert jetzt. Wir müssen den erstaunlich kurzen Wirkungszeitraum nutzen, um die Weichen für eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft zu stellen“, sagte Gastgeber Wolfgang Leger-Hillebrand, Leitung Branchenmanagement Lebensmittelsicherheit bei Quality Austria Certification. Einen wichtigen Hebel sieht Hillebrand in der Verantwortung – auch in Hinblick auf Zertifizierungen wie ISO 9001 oder ISO 22000 und die GFSI Standards BRCGS, IFS und FSSC, die laufend überarbeitet werden. Dem Gastgeber pflichtete auch EU-Agrarkommissar a. D. Franz Fischler bei: „Qualität und Sicherheit sind nur gewährleistet, wenn jedes Glied in der Lebensmittelkette seine Verantwortung wahrnimmt und auch das Zusammenspiel innerhalb der Ketten gut funktioniert. Dafür braucht es klare Rahmenbedingungen des Gesetzgebers oder private, aber verbindliche Normen, ein bewusstes Miteinander der einzelnen Glieder der Ketten und eine faire Verteilung – sowohl der Verantwortung als auch des wirtschaftlichen Ertrags.“

Ernährungssicherheit für fast 10 Milliarden Menschen

Was Ernährungssicherheit in Zukunft bedeutet, beleuchtete Univ. Prof. Thilo Hofmann, Department für Umweltgeowissenschaften, Universität Wien, in seinem Vortrag. Die Anforderungen an die Bereitstellung von Lebensmitteln verschieben sich bis zum Jahr 2050 drastisch. Dann werden nämlich etwa 9,7 Milliarden Menschen die Erde bevölkern, wovon 70 Prozent in urbanen Gebieten leben werden. „Die romantisierte Vorstellung der Selbstversorgung oder lokalen Landwirtschaft ist praktisch für die meisten Menschen nicht umsetzbar. Nahrungsmittel sind zunehmend eine globale Ware, mit der wir möglichst ressourcenschonend und verantwortungsbewusst umgehen müssen“, sagte Hofmann. Der Experte erläuterte, dass wir angesichts der steigenden Bevölkerungszahl und veränderten Ernährungsgewohnheiten die Nahrungsmittelproduktion um 50–60 Prozent steigern müssten. „Die Ernährung für fast zehn Milliarden Menschen sicherzustellen, wird neuen Ansätzen, welche planetare Grenzen berücksichtigen, nicht gelingen“, so Hofmann. Um diese Herausforderungen zu schaffen, brauche es klare und faire Regeln für alle Marktteilnehmer. Denn aktuell hungern bereits eine Milliarde Menschen, während gleichzeitig ein Drittel der produzierten Lebensmittel verschwendet wird – in der Produktion, der Lagerung und in den Haushalten. Dabei werden bereits heute 37 Prozent der Landoberfläche für die Produktion von Nahrungsmitteln verwendet. Eine Antwort auf das Platzproblem ist die Veränderung unserer Ernährungsgewohnheiten. Würden wir weniger Fleisch konsumieren und die Anbauflächen nur für Nahrungsmittel für den menschlichen Verbrauch nutzen, könnte man vier Milliarden mehr Menschen ernähren. Denn domestizierte Tiere machen mit Abstand den größten Teil der Biomasse an Säugetieren aus – mehr als alle anderen zusammen, inklusive Mensch. Damit würden auch die durch die Massentierhaltung erzeugten Treibhausgasemissionen sinken. Dass Handlungsbedarf geboten ist, zeigen auch die folgenden Zahlen: Die landwirtschaftliche Produktion ist für 19 bis 29 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich sowie für 30 Prozent des Energieverbrauchs. „Die Ernährungsfrage ist für die Zukunft unseres Planeten essenziell. Alle 17 UN-Nachhaltigkeitsziele hängen direkt oder indirekt mit Nahrungsmittelproduktion und Ernährung zusammen. Ohne nachhaltige Ernährungssysteme und verpflichtende Regeln für alle Marktteilnehmer können wir diese nicht erreichen“,so Hofmann.

Neue Spielregeln für die Lebensmittelindustrie

Um die aktuellen Herausforderungen zu schaffen, braucht es neue Spielregeln für alle Marktteilnehmer. Die Europäische Union reagiert und nutzt die Nachhaltigkeit als Zugangsschlüssel, um die Verpackungen von Lebensmitteln zu reduzieren. Charlotte Neumair, Circular Analytics TK GmbH, erklärte den Teilnehmenden, welche neuen Regelungen auf die Lebensmittelbranche zukommen: „Die EU schafft ein klares Regelwerk, das die gesamte Lieferkette in die Pflicht nimmt – vom Lieferanten über den Hersteller bis zum Importeur und Vertreiber müssen Verpackungsdaten in Zukunft entlang der gesamten Supply Chain transparent zur Verfügung gestellt und weitergegeben werden.“ Konkret müssen Verpackungen ab 2030 verbindlichen Recycling-Kriterien entsprechen. Verpackungen, deren Recyclingfähigkeit unter 70 Prozent liegt, dürfen dann nicht mehr auf den EU-Markt gebracht werden. Ab 2035 müssen Verpackungen zusätzlich effektiv gesammelt, sortiert und verwertet werden. Und ab 2038 sind nur noch Verpackungen zugelassen, deren Recyclingfähigkeit bei über 80 Prozent liegt. Um die Einhaltung dieser Ziele sicherzustellen, müssen Unternehmen entlang der Lieferkette Konformitäts- und Informationspflichten erfüllen. „Für jedes verpackte Lebensmittel muss in Zukunft eine individuelle Konformitätserklärung vorliegen. Hersteller müssen Nachweise und Berechnungen zur Verpackungseignung nachvollziehbar dokumentieren und den Zulieferern für Berechnungen und Gutachten zur Verfügung stellen“, so Neumair. Die Expertin rät Unternehmen der Lebensmittel- und Verpackungsbranche, sich bereits jetzt mit den neuen Pflichten auseinanderzusetzen. Nicht konforme Verpackungen dürfen rechtlich nicht mehr auf dem EU-Markt in Verkehr gebracht werden und es kann zu Produktrückrufen kommen. Darüber hinaus drohen national unterschiedlich hohe Geldbußen.

Die Vortragenden des 16. qualityaustria Lebensmittelforums waren sich einig: Lebensmittelsicherheit von morgen erfordert eine tiefgreifende ökologische und ökonomische Transformation der Branche.

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