Anders ganz anders zufrieden

Denise Pölzelbauer ist eine Frau, die einem den Atem nimmt. Nämlich genau in dem Augenblick, in dem man checkt, wer da vor einem steht. In diesem besonderen Moment schaltet sich der Körper (dem überforderten Hirn) zu und hilft dabei, voll auf die Bremse zu treten – zunächst mit Schnappatmung. Alles muss runtergefahren werden, weil die Einstellungen neu kalibriert werden müssen. Ihre ungekünstelte Selbstverständlichkeit zu handeln, kann das Wissen, das einem eine Wirtschaftsuniversität vermittelt ­– meinetwegen mit Doktorat (PhD) – innerhalb von wenigen Minuten in heiße Luft aufzulösen – und sämtliche dilettantische Ideen von wirtschaftlichem Tun sowieso.

– aus dem PROST Magazin vom Mai 2025 – Text: Peter Eder

Denkt der Unbedarfte an das Bäckerhandwerk, denkt er an Nachtarbeit, Sechstagewoche, Familien-Feindlichkeit und -aussterben. Tatsächlich gibt es sie immer weniger, die „richtigen“ Bäcker:innen, die – durchs Leben gestaubt – Hand anlegen wollen. Brot und Gebäck sind zu Industrieprodukten geworden.

Die Backmischungen müssen so entworfen sein, dass sie maschinentauglich sind. Verdauungstauglich sind die Dinger, die aus den Hightech Öfen quellen, nicht. Das merkt man spätestens, wenn sie dann in der eigene Wampe nochmal unverträglich nachquellen.

Jedes Ihrer Brote ist inhaltlich auf Notweniges reduziert keine Chemie – reine Natur.

Denise Pölzelbauer ist Bäckermeisterin in fünfter Generation. Sie führt den traditionsreichen Familienbetrieb in Brunn an der Pitten, in Niederösterreich. Mit 21 übernahm sie offiziell die Bäckerei ihres Großvaters und wurde mit 23 die jüngste Bäckermeisterin Österreichs – übrigens: die einzige Frau, die die Meisterprüfung mit Auszeichnung bestand. Damit nicht genug, sie definiert das Bäckerhandwerk neu: weiblich, nachhaltig und zeitgemäß. Denise beschäftigt ausschließlich Frauen, verzichtet auf Nachtarbeit und bietet ein achtsames Arbeitsumfeld. Gesundheit, Respekt und Kreativität stehen im Mittelpunkt – auch Yoga und gemeinsame Aktivitäten gehören zum Arbeitsalltag.

BACKART
Ihre Art zu backen ist 14.000 Jahre alt, was die Zutaten betrifft – Mehl, Wasser Salz – und geht zurück auf ägyptische Kulturen denen wir, den – von Milchsäurebakterien und Hefen – vergorenen Sauerteig zu verdanken haben. Der daraus entstehende Teig wird mittels langer Teigführung „vorverdaut“ und erst daraus wird das Brot und Gebäck gebacken, das einen unmittelbar in die Knie zwingt, um sich beim Universum zu bedanken – dass man das noch erleben darf. Ihre Brote sind nicht nur bekömmlich, sie erzählen von einem anderen Zugang zum Leben, zur Arbeit und zum Umgang mit Lebensmitteln – handwerklich, bewusst, menschlich. Denise wollte sich ursprünglich als Bürokauffrau ins Berufsleben eingliedern. Das Backen war stärker – sie absolvierte die Lehre, lernte bei ihrem Großvater das Handwerk, machte die Meisterprüfung – und übernahm jung den Betrieb. Seitdem hat sie vieles verändert: keine Nachtschichten, flexible Arbeitszeiten, ein rein weibliches Team – fast alle Quereinsteigerinnen. Die meisten arbeiten vier Tage, manche in Teilzeit, andere geringfügig. „Arbeit soll ins Leben passen – nicht umgekehrt.“

REINHEIT
Denise setzt auf Sortenreinheit: reines Roggen-, Dinkel- oder Weizenbrot. Alle Zutaten sind so gewählt, dass sie nicht nur gut schmecken, sondern auch nach dem Abgang gut verträglich sind. Viele Kund:innen können erst durch ihr Brot überhaupt wieder Brot essen. „Es macht mich stolz, wenn Menschen sagen, dass sie mein Brot nicht nur vertragen, sondern vermissen, wenn sie auf Urlaub sind“, erzählt sie.

WEINGEBÄCK, DAS DEM WEIN SEINE BÜHNE LÄSST
Neben dem Brot hat Denise ein zweites Standbein entwickelt: ihr Weingebäck. Kleine, knusprige Cracker auf Basis von Traubenkernmehl und Olivenöl – gedacht als Begleiter bei Weinverkostungen. Der Gedanke: Ein neutraler, aber hochwertiger Snack, der den Geschmack des Weins nicht überdeckt, sondern unterstreicht. Das Gebäck ist vegan, hefe- und laktosefrei. „Das Weingebäck ist mehr als ein Produkt – ich verschicke in den gesamten DACH-Raum – weil gute Ware rar ist und gerade für Weinverkostungen minderwertiges Brot – geschmacklichen – „Tod“ bedeutet.

REGIONALITÄT STATT ZERTIFIKATSBÜROKRATIE
Früher war Denise Demeter-zertifiziert. Heute vertraut sie lieber auf kurze Wege und persönliche Beziehungen. Ihr Mehl stammt aus einer Mühle in der Nähe. Kräuter und Nüsse kommen oft aus dem eigenen Garten. „Ich will regionale Produkte verwenden – auch wenn sie kein Siegel haben. Bio aus Übersee macht für mich keinen Sinn.“ Diese Haltung zieht sich durch den gesamten Betrieb: Qualität ja – aber nicht auf Kosten von Logik und Bürokratiewahn.

GEFÜHL UND VERTRAUEN
Einen klassischen Managementkurs hat Denise nie besucht. Sie leitet ihren Betrieb intuitiv – mit viel Herz, gesundem Menschenverstand und Vertrauen in ihr Team. „Ich will nicht kontrollieren, sondern ermöglichen“, sagt sie. Ihre Mitarbeiterinnen bringen eigene Interessen mit, und Denise fördert das bewusst. Eine betreibt nebenbei ein Torten-Business, eine andere arbeitet im sozialen Gartenbau. „Wenn jemand erfüllt ist, arbeitet er oder sie besser – ganz einfach.“ Dieses mächtige Modell der „Bemächtigung der Mitarbeiterinnen“ macht sie unabhängig: Die Bäckerei funktioniert auch, wenn sie verreist oder sich eine Auszeit nimmt. „Diese Freiheit hab’ ich mir über die letzten 20 Jahre aufgebaut – jetzt trägt sie mein Team und mich.“

FREIHEIT STATT FILIALEN
Wachstum interessiert Denise nicht. Sie hatte kurzzeitig einen Pop-up-Stand in Wien, belieferte Restaurants, baute ein kleines Netzwerk auf. Doch irgendwann zog sie sich bewusst zurück. „Ich will nicht 15 Filialen haben, 50 Mitarbeiter führen und nicht mehr schlafen können.“ Stattdessen konzentriert sie sich auf das, was ihr wirklich wichtig ist: gutes Brot, zufriedene Kund:innen, ein funktionierendes Team – und ein Leben mit Zeit für sich. Reisen, Natur, Freunde, Stille. „Ich brauche nicht viel – aber das, was ich habe, soll mir Freude machen.“

DIE KRAFT DER ELEMENTE
Nach ihrer Meisterprüfung absolvierte Denise eine Ausbildung in traditioneller chinesischer Ernährungslehre. Sie orientiert ihre Rezepturen an den fünf Elementen – nicht dogmatisch, aber bewusst. „Jedes Brot ist mehr als ein Produkt – es ist auch Energie. Man merkt, ob etwas mit Hingabe gemacht wurde.“ Das sieht man auch in ihrer Art zu arbeiten: sorgfältig, achtsam, im Einklang mit der Natur und dem eigenen Rhythmus.

Denise bedeutet „die Fröhliche“, „die Starke“, „das Meer“ und „die dem Gott Dionysos Geweihte“. (Dionysos: Der Gott des Weines, der Freude, der Trauben, der Fruchtbarkeit, der Ekstase, der Verwandlung und des Rausches.

ORT DER SELBSTVERWIRKLICHUNG
Was bei Denise entsteht, ist mehr als Brot und Gebäck. Die Bäckerei ist ein Ort, an dem Menschen wachsen – im eigenen Tempo. „Ich möchte, dass hier jede sein kann, wie sie ist.“ In ihrer Werkstatt ist die Atmosphäre entschleunigt, fast meditativ. Besucher:innen staunen oft, wie ruhig hier gearbeitet wird.

MEHL, WASSER, SALZ, SAUERTEIG UND EINE GROSSE PORTION HALTUNG
Denise steht für einen Gegenentwurf zum schnellen, fremd-optimierten Alltag der Mitarbeiter zu einem beliebigen Faktor in einer Excelliste degradiert. Sie zeigt, dass wirtschaftlicher Erfolg auch im kleinen Maßstab möglich ist – wenn man bereit ist, seinen eigenen Weg zu gehen. „Ich wollte nie perfekt sein – nur echt“, sagt sie. Und genau das ist sie: authentisch, leidenschaftlich, klar. Ihre Bäckerei ist kein Denkmal für vergangene Zeiten – sondern ein lebendiger Beweis dafür, dass gutes Handwerk Zukunft hat. Wenn man es mit Sinn, Seele und Selbstvertrauen verwirklicht.

www.baeckerin.at