Unsere Einstellung zu Wein wandelt sich. Während der Blick vielleicht noch von Burgunder und Barolo, Cabernet und Chardonnay bestimmt wird, gerät das in der Vergangenheit Vertraute langsam immer weiter außer Reichweite für normale Verbraucher. Die Preise für diese anerkannten Stars der Weinwelt schaffen Raum und Anreiz zugleich für einige Stars von morgen. Das soll nicht heißen, dass der Öküzgözü aus der Türkei bald Ihren Cabernet ersetzen wird, aber es bedeutet, dass Sie bald wahrscheinlich öfters Gelegenheit haben werden, Öküzgözü zu probieren – was gut ist und sicherlich nicht immer so war.
Die Weinkonsumenten von heute sind nicht mehr so an Konventionen gebunden wie die vergangener Jahrzehnte. Die Klassifizierungen in Bordeaux und Burgunder sind für viele neue Weinkonsumenten weit nicht so wichtig und spannend wie Qvevri-Weine aus Georgien oder auch Rieslinge von den New Yorker Finger Lakes. Die Gründe dafür sind natürlich vielfältig: Einen gewissen Einfluss haben die steigenden Preise, denn die angesagten neuen Weine tendieren dazu, preislich gut zu liegen. Aber es sind auch stärkere Kräfte am Werk wie eine Rückbesinnung auf Alles, was regional und natürlich ist; und die Spannung bei der Entdeckung trägt ihren Teil zur Exploration dieser weniger bekannten Anbaugebiete bei.
Auch wenn viele von uns Fachleuten manchmal solche Regionen geringschätzen, die noch nicht im vollen Umfang von Investitionen profitieren, ist es doch bemerkenswert, dass gerade diese Regionen verstärkt internationale Aufmerksamkeit mit ihren Weinen erregen; dabei hat jede Region ihre eigenen „Apostel“, die ihr Zugang zu einem immer neugierigeren und abenteuerlustigen Publikum sichern. Es ist also höchste Zeit, auch Weinen, die nicht zu den „üblichen Verdächtigen“ gehören, Aufmerksamkeit zu schenken. Es ist an der Zeit, Regionen Aufmerksamkeit zu schenken, die uns das eine oder andere über die Vielfalt und Schönheit des Weins lehren. Es ist an der Zeit, Teilen der Welt Aufmerksamkeit zu schenken, denen wir noch nie Aufmerksamkeit geschenkt haben! Hier also einige meiner Lieblingsregionen, die auf dem Weg sind, schon bald die nächste große Entdeckung für Wein zu werden.
Türkei
Noch nicht viel von türkischem Wein gehört? Nun, das überrascht kaum, sollte es aber, wenn man weiß, dass die Wurzeln der türkischen Weinbranche Tausende von Jahren zurückreichen und sie anerkanntermaßen die erste war, die zwischen 3000 und 4000 vor Christus ein als „Vino“ bekanntes Getränk hergestellt hat.
Die Türkei ist also dafür prädestiniert, in den kommenden Jahren ein wichtiger Akteur auf der Weinbühne zu werden. Als eines der weltweit fruchtbarsten Anbaugebiete für Weintrauben ist die Türkei mit jährlichen Erträgen von über 4 Millionen Tonnen1 – den sechshöchsten weltweit – weit bekannter für ihre Herstellung von Tafeltrauben und Rosinen als für Wein, aber das ändert sich allmählich.
Etwa 28 Millionen Liter2 Wein werden jährlich in der Türkei produziert, was vielleicht der Hälfte des Gesamtpotentials auf der Grundlage der derzeitigen Rebflächen entspricht. Die potentielle Verdopplung der bereits jetzt beachtlichen Menge zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die Qualität beindruckend verbessert hat (der Durchschnittspreis pro Liter für türkischen Wein ist von $1,36 2006 auf $3.25 2011 gestiegen)3, bedeutet, dass sich die Türkei tatsächlich auf dem Vormarsch in den Weltmarkt für Premium-Weine befindet – eine Entwicklung, die kaum jemand noch vor 10 Jahren erwartet hätte.
Und zum Thema Öküzgözü. Diese Sorte könnte sich sehr wohl als Durchbruch für die Türkei entpuppen. Unter den in der Türkei heimischen Rebsorten, derer es viele gibt, zeichnet sich der Öküzgözü durch ein feines Gleichgewicht zwischen Charakter und Trinkbarkeit aus; er erinnert mich mit seinen frischen, fruchtigen Aromen und dem lieblich, hellen Charakter an einen Dolcetto. Ich probiere ihn, wann immer ich die Chance dazu bekomme. Und auch wenn die Winzerei vielleicht noch nicht ganz da ist, wo sie sein sollte, gibt es da draußen doch einige großartige Beispiele.
China
Während die Türkei auf eine beindruckende Wein-Historie und die dazugehörigen Weinberge zurückblicken kann, ist China eher ein „Start-up“ in Sachen Wein. Aber wie das mit den Chinesen so ist, wenn sie sich entscheiden, Wein zu produzieren, dann entscheiden sie sich dazu, das im großen Stil zu tun. So groß, dass die chinesische Anbaufläche von 300.000 Hektar im Jahr 2000 auf heute nahezu 600.000 Hektar4 angewachsen ist. Der Ertrag liegt bei über 10 Millionen Tonnen Trauben5 und macht China damit zum führenden Weintraubenproduzenten.
Die Traubenproduktion explodiert in China zwar, aber die Weinproduktion entwickelt sich – auch wenn sie schnell wächst – langsamer. Investitionen von internationalen Top-Weinmarken wie Domaines Barons de Rothschild oder LVMH gewährleisten, dass die Prospektion der Lagen und die Produktion selbst in der frühen Testphase unter Berücksichtigung höchster internationaler Standards erfolgen.
Während die Türkei eine ganze Reihe einheimischer Rebsorten zur Vermarktung bietet, muss sich China auf importiertes, geklontes Material verlassen. Aufgrund des heimischen Marktes, der Lagen und auf internationalen Druck hin sind deshalb über 60% der in China angebauten Reben Cabernet Sauvignon6. Es bleibt abzuwarten, ob die Welt auf eine weitere Bezugsquelle für Cabernet Sauvignon gewartet hat, aber kurzfristig werden diese Weine – wenn die chinesischen Cabernets es mit den weltbesten ihrer Sorte aufnehmen können – eine einfache Methode sein, das Potential chinesischer Weinbaugebiete zu benchmarken. Es besteht kein Zweifel daran, dass irgendwo in diesem Riesenreich mit dem Geld und den eingesetzten Mitteln Weltklasse-Weine entstehen werden. Wie spannend ist es, von Anfang mit dabei zu sein?
Die Türkei und China sind zwar die ganz großen „Geschichten“ in der Weinbranche, aber es lohnt sich trotzdem ein Blick auf die, die im letzten Jahr groß in den Schlagzeilen waren.
New York’s Finger Lakes
Die Region, die schon lange für ihre Rieslinge bekannt ist, ist das Ziel einiger internationaler Investitionen, die sich für Viele als Augenöffner erwiesen. Paul Hobbs und Johannes Selbach taten sich zu einem Joint Venture zusammen, um einen 67 Hektar-Standort am südöstlichen Ufer des Seneca Lake zu erschließen. Das ist zwar nicht die erste ausländische Investition in der Region, aber die größte. Sie fand auch in den Medien breite Beachtung und bescherte den großen, aber größtenteils unentdeckten Weinen der Region wachsende Berichterstattung.
Republik Georgien
Nach Jahren steigenden Interesses an den sogenannten Orange Wines sowie Amphoren-Fermentierungen, hat Georgien nun auch endlich seine Qvevri-Weine bekannt gemacht. Die traditionellen Weine von Georgien, die in diesen Ton-Qvevri reifen, bilden eine historische Verbindung zwischen der modernen Interpretation dieser Weinart und ihren Ursprüngen. Obwohl Qvervi-Weine sicherlich nicht für jeden Gaumen geeignet sind, wissen sie zu faszinieren und haben ihren Teil dazu beigetragen, die Tür für historische wie moderne Weine aus Regionen zu öffnen, die Weinkennern bis dato unbekannt waren.
ProWein 2015
Eine der „großen Geschichten“ 2015 wird auch mit Sicherheit die ProWein schreiben. Sie ist bereits die weltweit führende Veranstaltung für Weinprofis, und gleichzeitig sehr wahrscheinlich auch der einzige Ort auf Erden, an dem man all diese großartigen Weine aus diesen aufstrebenden Anbaugebieten verkosten kann und zwar zusammen mit Weinen aus allen wichtigen „klassischen“ Weinregionen der Welt. Über drei Tage lang wird die ProWein – die internationale Fachmesse für Weine und Spirituosen in Düsseldorf, Deutschland (15. – 17.03.2015) – Weinprofis aus aller Welt einzigartigen Zugang zu den größten Weinen und Winzern aus aller Welt gewähren. Gleichzeitig gibt sie Ihnen die Freiheit all die neuen und spannenden Entwicklungen zu entdecken, die sich im vergangenen Jahr in der Weinwelt ergeben haben bzw. die in Zukunft von sich reden machen werden.