Overtourism: Wer nicht reagiert, verliert

Roland Berger und die Österreichische Hoteliervereinigung präsentieren eine europaweite Studie zu Overtourism und zeigen, wie Städte dem Phänomen Herr werden können.

die Bilder: „Da wurden Städte Opfer ihres eigenen Erfolgs. Das ist unverantwortlich und wirklich nicht notwendig“, fasst Dr. Markus Gratzer, Generalsekretär der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV), die Situation zusammen. Die Hintergründe legt Dr. Vladimir Preveden, Managing Partner bei Roland Berger Österreich und Co-Autor der neuen europaweiten Studie „European city tourism study 2018: Protecting your city from overtourism“, offen: „Das geschieht ja nicht von heute auf morgen, und es wirken immer mehrere Faktoren zusammen“, verweist er auf Ausnahmesituationen wie in Amsterdam oder Lissabon. Einer davon ist der anhaltende Trend zum Städteurlaub: Stiegen die Nächtigungen in den untersuchten Ländern in den vergangenen 10 Jahren um 26 %, nahmen sie in Städten mehr als doppelt so schnell zu. Eine Entwicklung, die zusätzlich durch die Sharing Economy forciert wird.

Tourismusintensität vs. Wertschöpfung: Quantität vs. Qualität
„Entscheidend sind die Wertschöpfung und das Verhältnis zwischen Touristen und Einheimischen, die sogenannte Tourismusintensität“, erklärt Preveden die zentralen Messgrößen der Studie: „In London, Wien, Berlin, München oder Rom ist ihr Verhältnis geradezu optimal, in Venedig, Reykjavik, Istanbul, aber auch Salzburg sehen wir – durchaus unterschiedlichen – Handlungsbedarf.“

Maßnahmen und Strategien für eine nachhaltige Tourismusentwicklung
„Die gute Nachricht: Overtourism ist keine Einbahnstraße. Ein Turnaround ist möglich“, hebt Gratzer hervor. Die Studie zeigt sieben Ansätze auf, wie Städte dem effektiv begegnen können. Wichtigste Nachricht: „Wer noch nicht unter Druck steht, muss handeln, damit es so bleibt.“ Städte mit niedriger oder mittlerer Tourismusintensität hätten es selbst in der Hand:

1. Tourismusstrategie und Stadtplanung gemeinsam denken und entwickeln
Der vielversprechendste und gleichzeitig auch langfristigste Ansatz. Tourismusmanager und Stadtplaner arbeiten hierbei eng zusammen und entwickeln eine gemeinsame Strategie wie und wohin sich Stadt und Tourismus entwickeln sollen. Fokussiert wird auf Infrastruktur, Umwelt, Lebensqualität und Smart City Features.

2. Tourismusärmere Stadtviertel beleben
Um den Gästestrom ideal in Städten zu verteilen und Zentren zu entlasten müssen Hot Spots abseits ausgetretener touristischer Pfade geschaffen werden. So können Viertel revitalisiert und aufgewertet werden.

3. Gästesegmente upgraden
Zur Steigerung der Wertschöpfung werden Angebote geschaffen, die gezielt Luxus-Gäste ansprechen. Qualität vor Quantität verhindert, dass Städte in die Overtourism-Falle tappen.

4. Alternative Angebote in Szene setzen
Bestehende Angebote abseits vielfrequentierter Lagen werden adaptiert, neu interpretiert und aktiv beworben – idealerweise über die Stadt und die Saisonen verteilt.

So können Städte reagieren, die bereits von Overtourism betroffen sind:

1. Beschränkung von Kapazitäten
Wenn Städte den Gästeansturm nicht bewältigen können, gibt es die mittelfristige Möglichkeit von Kapazitätsbeschränkungen. Die Ansätze reichen vom Hotelbetten-Stopp bis hin zur Limitierung von Bus- und Kreuzfahrtgästen.

2. Aktives Management der Sharing Economy
Unregulierte Sharing Economy ist der Turbo für Overtourism. Von der Registrierungspflicht von Hosts bis hin zum Komplettverbot der touristischen Kurzzeitvermietung in Wohnungen gibt es eine breite Range möglicher Reaktionen.

3. Beschränkung des Zugangs
Wenn keine anderen Maßnahmen greifen oder zu spät reagiert wird, gibt es meist nur einen Ausweg: die Beschränkung des Zugangs. Die möglichen Maßnahmen reichen von Ticketing über örtliche Zutrittsregulierungen oder flexibles Pricing.

4. Maßnahmen frühzeitig setzen

Wie Städte reagieren und ob sie alle Maßnahmen umsetzen, sei von Fall zu Fall zu klären: „Passiv bleiben, der Entwicklung zusehen, ist keine Option. Es braucht heute nicht nur Tourismuswerbung, Tourismusmanagement ist unerlässlich. Maßnahmen wie das Management der Sharing Economy können gar nicht früh genug angedacht werden, damit es gar nicht so weit kommt, dass die Situation entgleitet“, gibt Gratzer weitere Tipps, zur Verhinderung unnötigen Unmuts in der Bevölkerung.

Wien unter den „Shining Stars“
Zusammen mit weiteren Städten zählt Wien laut Studie zu den „Shining Stars“, die sich durch gesunden, nachhaltigen Tourismus und ein Miteinander von Stadtplanung und touristischer Entwicklung auszeichnen. „Das gute Abschneiden Wiens sehe ich sehr positiv, verstehe es aber als Auftrag. Aus repräsentativen Untersuchungen wissen wir: 96% der Wienerinnen und Wiener stehen dem Tourismus in der Stadt positiv gegenüber. Es gilt jene Balance aufrecht zu erhalten, die Wien für Gäste liebenswert, für Einheimische lebenswert und als Destination profitabel für die Wirtschaft macht“, erklärt Tourismusdirektor Norbert Kettner. „Wir vermarkten Wien seit Jahren als Premium-Destination, kooperieren nicht mit den Treibern von Massentourismus, sondern fördern qualitätsvollen Tourismus, der Wertschöpfung bringt und sich nachhaltig in die Stadt einfügt, anstatt sie zu belasten. Wir verschaffen Wiens Tourismusbranche Positionierungsmöglichkeiten im Luxussegment und wollen damit auch die Chancen der Hotellerie auf Preisdurchsetzung verbessern.“

Zusammenspiel aller Player als Basis
Kettner rief im WienTourismus bereits 2017 die Abteilung Destinationsmanagement ins Leben, um die Vernetzung lokaler Partner gezielt voranzutreiben, die Bedürfnisse von Bewohner miteinzubeziehen und wichtige strategische Herausforderungen proaktiv anzugehen. „Doch es braucht das Zusammenspiel aller Player über die Tourismusbranche hinaus – Politik, Wirtschaft oder Kultureinrichtungen tragen zusammen mit uns Verantwortung, dass Tourismus ein Erfolgsprodukt bleibt“, erklärt Kettner. So sei etwa im Bereich der privaten Zimmervermietung über Online-Plattformen der Bund gefordert, bundesweit einheitliche Regelungen zu schaffen. Fragen der innerstädtischen Mobilität, Nutzungsdruck auf den öffentlichen Raum oder die Schaffung von dezentralen Angeboten für Einheimische wie Besucher seien Herausforderungen, denen man sich nur gemeinsam stellen könne. „Die Vielzahl an Ticketverkäufern, austauschbare Souvenirshops, 10 Millionen leere Taxi-Retourkilometer pro Jahr zwischen Wien und Flughafen oder Kreuzfahrtpassagiere, die mit einem extra Bus in die Stadt kommen, die eigentlich über ein perfekt ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz verfügt – es gibt einige Hebel, bei denen wir ansetzen können“, so Kettner. Derzeit sei Wiens Tourismusstrategie 2025 in Arbeit, die neben einem internationalen Beirat auch einen breit angelegten Stakeholder-Prozess beinhaltet, an dem sich Akteure aus allen relevanten Bereichen beteiligen können. Sie wird im Herbst 2019 präsentiert und sich den touristischen Zukunftsthemen der Stadt stellen.